We Are The Revolution : Wir sind die Revolution
- A Dialogue Between Juan Xu, Jiny Lan & Eugen Blume (Former Director of Museum Hamburger Bahnhof Berlin)
21.11.2013, Hamburger Bahnhof /Berlin
JX (Juan Xu) : Ich habe einiges von Ihnen gelesen. Sie haben doch (zusammen mit Catherine Nichols) anläßlich der großen Beuys-Retrospektive einen Katalog herausgebracht.
EB(Eugen Blume): „Wir sind die Revolution“ heißt dieser Katalog...
JX: Wann ist der erschienen?
EB: 2008 im September
JX Wie sind Sie auf die Ausstellung > Beuys in China < aufmerksam geworden? Sind Sie von der CAFA eingeladen worden?
EB: Durch Herrn Anders vom Goethe-Institut Peking. Er hat mir schon lange erzählt, dass er in Verhandlungen mit Herrn Berger und CAFA stand. Die Sammlung Ute und Michael Berger sollten in China ausgestellt werden. Er hat mich gefragt, ob ich nach Peking kommen will, um einen Vortag zu halten. Es ist immer wieder vorschoben worden…
JX Was für einen Vortrag hätten Sie gehalten?
EB: Über Eurasien. Über die Idee > Eurasia < von Beuys und die Zusammenführung von Westen und Osten, von westlichen und östlichen Kulturen. Er hat sehr früh diesen > Staat Eurasia < gegründet, die > Partei Eurasia < (1963)
JX. Partei Eurasia? Ich dachte die Partei > die Grünen <
EB. Nein, Beuys hat erst den > Eurasia Staat <, die > Partei Eurasia <, und danach die deutsche Studenten-Partei gegründet
JX. Die Deutsche Studenten-Partei? Die freie internationale Universität?
EB. Das war später.
JX.Wann genau?
EB. 63, ganz früh.
JX. Das war wirklich früh, noch nicht die „Hochzeit“.
EB. Nein, das war noch nicht bekannt
JX (Juan Xu) : Ich habe einiges von Ihnen gelesen. Sie haben doch (zusammen mit Catherine Nichols) anläßlich der großen Beuys-Retrospektive einen Katalog herausgebracht.
EB(Eugen Blume): „Wir sind die Revolution“ heißt dieser Katalog...
JX: Wann ist der erschienen?
EB: 2008 im September
JX Wie sind Sie auf die Ausstellung > Beuys in China < aufmerksam geworden? Sind Sie von der CAFA eingeladen worden?
EB: Durch Herrn Anders vom Goethe-Institut Peking. Er hat mir schon lange erzählt, dass er in Verhandlungen mit Herrn Berger und CAFA stand. Die Sammlung Ute und Michael Berger sollten in China ausgestellt werden. Er hat mich gefragt, ob ich nach Peking kommen will, um einen Vortag zu halten. Es ist immer wieder vorschoben worden…
JX Was für einen Vortrag hätten Sie gehalten?
EB: Über Eurasien. Über die Idee > Eurasia < von Beuys und die Zusammenführung von Westen und Osten, von westlichen und östlichen Kulturen. Er hat sehr früh diesen > Staat Eurasia < gegründet, die > Partei Eurasia < (1963)
JX. Partei Eurasia? Ich dachte die Partei > die Grünen <
EB. Nein, Beuys hat erst den > Eurasia Staat <, die > Partei Eurasia <, und danach die deutsche Studenten-Partei gegründet
JX. Die Deutsche Studenten-Partei? Die freie internationale Universität?
EB. Das war später.
JX.Wann genau?
EB. 63, ganz früh.
JX. Das war wirklich früh, noch nicht die „Hochzeit“.
EB. Nein, das war noch nicht bekannt
EB: ja, der Vortrag war relativ lang, durch die Übersetzung, anschließend habe ich Ausschnitte aus Performance-Videos von Beuys gezeigt. „ I like America“ war in der Ausstellung nicht zu sehen, nur in einer Dokumentation. Ich habe daher einen längeren Ausschnitt gezeigt.
JL: Haben Sie ähnliche Vorträge vor deutschen Studenten gehalten?
Ausschließlich nur für Studenten?
EB. Ja, ich habe eine Professur in Braunschweig an der Kunsthochschule. Da halte ich jedes Jahr Vorträge.
JX: Herr Blume, Sie haben gesagt, Sie finden die Ausstellung gut und interessant. Wenn ich Sie richtig verstehe, Sie finden die Art und Weise, wie die Ausstellung konzipiert worden ist, gut? Hat sie Ihnen gefallen?
EB:Ja, weil sie biographisch aufgezogen war. Die Editionen sind leider nicht einfach zu verstehen. Da sind mehrere Ding, Einladungskarte, Plakate usw. bis auf die Objekte in den Vitrinen, die biographisch eingebunden hat. Ein biographisches Band also, multipublizierte Zeit eingebunden, Das fand ich sehr interessant als Ausstellungsform. Das ist das erste Mal, dass ich etwas in dieser Form gesehen habe.
JX. Gab es etwas Derartiges in Deutschland nicht?
EB: Nee. So nicht.
JX: Warum ist die autobiographische Art für Sie so interessant? Für Chinesen ist Beuys doppelt fremdartig: erstens als Künstler, zweitens als Figur deutscher Zeitgeschichte. Deshalb braucht man viel Hintergrundwissen bei der Dokumentation.
EB:Man muß viel lesen.
JX: Eine Einordnung, würden Sie die auch autobiographisch darstellen?
EB: In Deutschland können die Leute alles lesen, das ist klar. Das Manifest und die ganzen Texte, aber Beuys ist ein schwieriger Künstler, auch in Deutschland ist es nicht immer einfach, ihn zu verstehen. Ich fahre nächste Woche zu einem Kolloquium nach München. Es wird darüber diskutiert, wie man Beuys ausstellt. Denn es ist auch in Deutschland nicht einfach, Beuys ausstellen. Das Biografische ist eine Möglichkeit, eine politische Ausdrucksform zu entwickeln und in die Zeitgeschichte einzubinden.
JX: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, war das doch eine Überraschung für Sie, die Ausstellung autobiographisch zu machen. Hätten Sie etwas vermisst?
EB: Naja, Beuys ist mehr als die Edition. Man soll natürlich große Installationen und Skulpturen nach China bringen, was natürlich schwierig ist.
JX: zum Beispiel die großen Installationen > Das Ende 20. Jahrhunderts < aus dem Hamburger Bahnhof > Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch < aus dem MMK Frankfurt... Oder aus Los Angeles?
EB. Es ist natürlich sehr schwierig. Ich habe die Moskauer Ausstellung mit Beuys gemacht. Da war das Glück, dass der Sammler die großen Skulpturen, die wir haben, ausgeliehen hat. Es wäre nicht möglich gewesen, die Werke aus anderen Museen auszuleihen. Die sind direkt von uns nach Moskau gegangen.
JX. Sie haben doch Kunstwerke an ein Moskauer Museum ausgeliehen. Wenn die CAFA Sie gefragt hätte, wären sie auch bereit gewesen, etwaige nach Peking zu senden?
EB: Ich habe Herrn Anders gesagt, wenn Beuys zum ersten in China gezeigt wird, werde ich versuchen, das zu unterstützen. Dann habe ich nichts mehr gehört. Es war unmittelbar nach Moskau.
JL: In welchem Jahr war das?
EB: Ende 2012
JL: Das war eine sehr wichtige Ausstellung, man konnte überall über die Ausstellung lesen, was man von der Ausstellung in Peking nicht behaupten kann. Weil die großen Museen in Deutschland nicht mitgemacht haben. Die Ausstellung „Aufruf zur Alternative“ in Moskau ist auch interessant für China, politisch gesehen.
JX: Haben Sie das große Bild > Die Revolution sind wir <? am Eingang gesehen, also ohne Untertitel. Haben Sie es gemerkt?
JL: Wir haben den Titel weggelassen, um einen politischen Konflikt zu vermeiden.
EB: Jaja, ich habe gesehen, dass sie im Katalog die Sachen in den Vitrinen gegen Partei-Diktatur als erste in den Katalog gebracht haben. Ich habe gedacht, es muss absichtlich so sein.
JL: In Moskau haben Sie gar keine Bedenken? Sie konnten alles machen und hatten jegliche Freiheit?
EB: Wir haben diesen „Aufruf zur Alternative“ übersetzt ins Russische als Flugblatt verschenkt am Eingang. Aber wenn Russische Künstler geschrieben hätten, hätten wir vielleicht auch Schwierigkeiten bekommen. So wurde das als Kunstgeschichte und deutsche Kunstgeschichte entpolitisiert.
JL: Eigentlich haben wir die Ausstellung absichtlich so gemacht, dass nur chinesische Kuratoren dran teilnehmen. Die Ausstellung soll aus chinesischer Perspektive gezeigt werden. Nicht die deutschen Experten zeigen, wie es sein soll.
EB: Das finde ich sehr gut.
JX: Wenn wir deutsche Experten einladen hätten, hätte es sicher unterschiedliche Ansätze und Meinungsverschiedenheiten gegeben. Deshalb haben wir eine rein „Chinesische Ausstellung“ gemacht.
EB: Der Punkt ist wichtig. Wenn wir chinesische Künstler ausstellen, kuratieren wir auch selbst. Es ist auch interessant, wie die Chinesen Beuys in China sehen, nicht Deutsche, die damit verbunden sind.
JX: Wie sagen Sie zur Schwarzen Tafel, worauf einige Beuys-Sprüche stehen? Einige fanden sie gut, andere eher schlecht.
EB: Manche beurteilten sie als Beuys nachahmend?
JX. Genau. Was meinen Sie?
EB: Mir hat es gefallen.
JL: Die Ausstellung war ziemlich frei. Es gab Studenten, die auf der Ausstellung Performances gemacht, ohne eingeladen zu sein, einfach selbst inszeniert. Wir fanden es cool. An der Eröffnung hat jemand Fliege eingeschmuggelt als live Performance-Aktion. Es war Anfang September, noch relativ warm. Wir fragten, woher kommen so viel Fliegen in eine Ausstellung? Später haben wir erfahren, es war eine Performance von einem Studenten.
JX: Dieselbe Person hat ein paar Monate später auch bei der Andy Warhol -Ausstellung eine noch größere Menge Fliegen reingeschmuggelt und die gleiche Performance weitergeführt. Dann kam die Polizei und hat ihn festgenommen. Er wurde daraufhin berühmt. Er behauptete, er wollte angesichts der Andy Warhol Ausstellung testen, ob die CAFA bzw. China überhaupt reif seien, antiautoritär zu denken. Es war eine bemerkenswerte Aktion geworden: Mit der Beuys –Ausstellung angefangen und bei Warhol weitergeführt.
JL: Das war wirklich sehr lebendig!
EB: Waren die anderen Künstler auch dabei, wie Ai Wei Wei ?
JL: Ai Wei Wei ist erst später gekommen. Er hat Tobias Berger (dem Sohn von Ute und Michael) gegenüber verlauten lassen, dass die Ausstellung ihm gefallen hat. Er hat die Ausstellung erst später besucht.
JX: Bei der Eröffnung waren die offiziellen Leute da. Es war wahrscheinlich keine angemessene Zeit für Ai, gleich zu erscheinen. Ich habe ihn vor der Ausstellung besucht. Unsere ersten Ideen waren, keine eigenständige Beuys-Ausstellung zu machen, sondern einen Dialog mit chinesischen Künstlern zu suchen. Beuys ist eine Figur der Kunstgeschichte, wir wollten die Ausstellung aktualisieren bzw. vergegenwärtigen. Und zwar chinesische Künstler wie Ai Wei Wei oder XuBing haben sich von Beuys inspirieren lassen. Ai hat aber zu mir gesagt, es gäbe keinen Sinn, solche Ausstellung zu machen, wenn man nicht frei diskutieren kann. Kurz danach verschwand er. Die CAFA und andere Museen in China haben gesagt, dass der Name Ai Wei Wei ein Tabu sei. Diese Art von Dialog käme gar nicht in Frage.
JL: Das war auch der Grund, warum diese Ausstellung mehrmals wieder verschoben worden war. Es gab immer wieder Zwischenfälle.
JX: Wenn so ein Dialog in einer Ausstellungsform stattgefunden hätte, hätten es Ihnen besser gefallen?
EB: Es wäre interessant, aber ich glaube, es ging in erster Linie darum, Beuys dem chinesischen Publikum vorzustellen. Wenn man einen Dialog führt, ist man schon einen Schritt weiter. Zuerst muss man verstehen, mit wem man den Dialog führt und was bezweckt er. Insofern finde ich gut, erst einmal Beuys vorzustellen. Dann kann man immer noch Ausstellungen machen, indem man einen Dialog mit Beuys sucht. Dazu braucht man nicht viel Beuys drin zu sein. Es können mehr chinesische Künstler sein, die sich auf irgendeine Art mit Beuys auseinandersetzt haben. Da reichen von Beuys zwei, drei Werke. Das andere ist der Austausch über Beuys mit den vielen Aspekten, die in seinem Werk enthalten sind. Beuys ist ein Universalist und hat alles Mögliche berührt. Es gibt riesige Gesprächsfelder für Chinesische Künstler. Es wäre schon gut, das zu machen.
JL: Wäre es für deutsches Publikum interessant, so eine Dialog-Ausstellung zu machen?
EB: Ja
JX: Sie haben vorhin angesprochen, dass Beuys ein universaler Künstler sei. Sie haben im Katalog > Die Revolution sind wir < in alle Perspektiven aufgezeigt.
EB: versucht.
JX: Was verstehen Sie unter dem Begriff „Revolutionär“? Er ist ein alternativer, grüner, Schamane und Revolutionär gleichzeitig. Ist all das nicht widersprüchlich in sich?
EB: Er meint Revolution nicht im alten Sinne, also die Revolution angefangen mit der Französischen, dann die Russische, die Chinesische bzw. die Kubanische Revolution. Das alles hat viele Menschenleben gekostet und war gewalttätig. Das hat Beuys nicht gemeint. Er verfolgte einen revolutionären Weg, der schrittweise die Gesellschaft verändert, allerdings nur über friedliche Möglichkeiten, also ohne Gewalt. Beuys war völlig gegen die Gewalt. Er hat die Revolution nicht im alten Sinne gewollt. Er hat sich zwar auf die Französische Revolution bezogen, aber auch da war er sehr kritisch. Wir wissen, zu welcher Blutorgie die Revolution 1848 geführt hat. Das hat er nicht gemeint. Revolutionär meint er von der Kunst aus, die Gesellschaft zu verändern, und zwar total auf allen Gebieten – den wirtschaftlichen, geistigen und die schulischen Bereichen alles umzugestalten.
So hat er sich als Revolutionär verstanden. Revolution heißt auch Umkehr, Umdrehen. Das waren seine Kriterien. Dass man nichts mehr so lässt, wie man es im späten 20 . Jahrhundert eingestellt hat und die wirtschaftlichen Prozesse und die politischen Verhältnisse ändert. Auch die Art und Weise, wie man den Staat organisiert und die Schulen leitet. All das bedeutet für ihn die Revolution. Nicht nur im Teilbereich, auch die Beziehung zur Natur, die ökologische Frage. All das ist in seinen revolutionären Gedanken enthalten.
JL: Gab es seitens chinesischen Studenten Fragen, die Sie überrascht haben.
EB: Leider nicht. Es gab eigentlich zu wenig Fragen, es waren zwar Fragen, aber...
JL: Aber keine revolutionären Fragen, richtig?(Lach)
JX: Darf ich den revolutionären Gedanken weiter folgen? Sie haben gerade gesagt, dass die Revolution Beuys nicht den herkömmlichen Sinn hätte, sondern bedeute eher Umdenken, Umkehren. Aber was ist das Fazit von Beuys heute? Er hat versucht, die Gesellschaft umzukrempeln. Wenn ich mir die Kunstlandschaft in Deutschland oder Europa anschaue, stelle ich fest, dass die Revolution entweder schon vorbei ist oder sie nicht stattgefunden hat. Der Ästhetizismus ist wieder da und die Menschen werden wieder edler... Die Revolution ist heute gar kein Thema mehr. Hat Beuys etwas erreicht?
EB: Ich glaube, er hat im praktischen Sinne nicht viel erreicht. Die Entwicklung nach seinem Tod hat Veränderung genommen. Das Ende der Weltteilung, Aufhebung der Grenzen zwischen dem Westen und dem Osten, die Globalisierung sind die Dinge, die er sicherlich selbst nicht gesehen hat. Das sind die gewaltigen Bewegungen, die in sich selbst zu etwas hinführen müssen. Wir wissen gar nicht, wo es hinführt. Deswegen hat es lange gedauert bis Beuys wieder interessant wurde.
JX: Ist er jetzt wieder interessant?
EB: Ja, er ist wieder interessant. Weil wir an dem Punkt gekommen sind, dass die Veränderung der Welt zeigt, dass es keine Lösung für die Welt gäbe, die zu Frieden, zu sozialem Ausgleich, zu Ordnung führt, die für Menschen lebbar ist.
JX: Nach der Eurokrise und der Finanzkrise 2008 ist Beuys wieder „in
2? Wir haben zusammen einen Artikel verfasst, in Bezug auf Frank Schirmachers Buch > Ego ist das Spiel des Lebens <. Nach Schirmacher sei Ego als universales Prinzip seit 50 Jahren vorbei. In den 50ern herrschte die soziale Romantik in Europa- denke ich - dann kam in den 80ern Reagan an die Macht, und Margaret Thatcher hat die Gewerkschaft aufgelöst. Seitdem gilt die rationale Vernunft nach dem Kalten Krieg als universales Prinzip. Die Jahre von Beuys waren sehr sozial-romantisch orientiert und waren Jahre danach nicht mehr aktuell. Dann wurde das Geld verdient. Nach dem Mauerfall war der Kapitalismus siegessicher und Ego als Spiel des Lebens war universal gültig. Anscheinend wurde Beuys nach der Finanzkrise wieder aktuell für die europäischen Gesellschaften.
EB: Zuerst die Versuchung des Reichtums war außerordentlich groß. Er meint, ein sozialer Kapitalismus wäre die Lösung. Aber es hat sich etwas anderes gezeigt, nämlich eine totale Ökonomisierung aller Verhältnisse. Darin gibt es gnadenlosen Wettbewerb, das Individuum des Einzelnen wurde missachtet. Der Mensch spielt keine Rolle mehr. Diese Erkenntnis reift jetzt langsam. Die totale Form des Ökonomismus ist ein Angriff auf das Menschensein und auf das Humane insgesamt. Jetzt zeigen sich die ersten kritischen Stimmen. In den 90ern Jahren waren alle kritischen Stimmungen weg. Man weiß nicht mehr, was Links in Europa heißt. Es gab keine Intellektuellen mehr, auch keine Philosophie. Was interessant (in der Vergangenheit) war, war vorbei. Man war in der Freiheit angekommen und ist jenseits der Geschichte. Das war eine große Illusion... Jetzt wird es deutlich, dass wir nur von einer Welt sprechen können. Niemand kann nur lokal oder national über die Welt denken: Die Chinesen national chinesisch, die Deutschen national deutsch, Franzosen französisch, Amerikaner amerikanisch denken. Sie müssen alle im Sinne der Welt denken. Es geht immer um die ganze Welt. Es geht niemals um nationale Probleme. Die Probleme müssen wir gemeinsam lösen.
JL: Es ist ein interessanter Punkt, warum Beuys jetzt überall in der Welt ausgestellt wird, nicht nur in Deutschland, sondern auch in China.
EB: Er wird in der Hinsicht wieder interessant und wieder sichtbar, auch von jungen Leuten gewollt, als Visionär, als utopischer Künstler, auch dessen was in der Kunst verloren gegangen ist. In der Kunst gibt es kaum politische Künstler, keine Visionäre, auch absolut diese Ökonomisierung.
JX: Aber in China haben wir auch noch welche wie Ai Wei Wei. Auch wir sind es: Bald Girls. Manche Staaten sowie in Afrika haben noch keine Kunst in diesem Sinne entwickelt, die aus eigenem Land heraus agiert. Die Künstler in Afrika und Saudi Arabien sind zum Teil viel politischer als die westeuropäischen. Westliche Künstler inkl. Nordamerika sind ziemlich stark entpolitisiert.
JX: Sie haben vorhin gesagt, es gab in den90ern keine intellektuelle, keine politische Kunst mehr. Jetzt ist sie wieder da, etwa wie Attac
EB: Ja, jetzt fängt es wieder an.
JX: Auch die Linke Partei ist gegründet worden. Es gibt wieder einen Gegenpol zur totalen Ökonomisierung.
EB: Es ist noch am Anfang, nicht so stark. Man sieht auch die letzte Wahl in Deutschland. Es waren keine Alternativen in Reichweite, Frau Merkel hat fast die absolute Mehrheit bekommen.
JX: Es polarisiert. Wenn man die SPD mit der Linken zusammenzählt, erhält man soviel Stimmen wie die Union; wenn man dann die Grünen dazu zählt, dann gibt es eine Mehrheit.
EB: Aber sie sind gespalten.
JX: Ich möchte nochmal auf China zurückkommen. Die chinesische ist eine sehr interessante Gesellschaft: Kapitalismus und Sozialismus gleichzeitig. Es gib in China einerseits eine politisierte Kunst, anderseits ist die Gesellschaft total kapitalisiert. Ein Bild von Zeng Fanzi wurde gerade für 10 Millionen ? verkauft. Das ist die chinesische Realität- alle sind auf der Suche nach maximalem Gewinn. Durch den Erfolg einiger Künstler auf dem internationalen Kunstmarkt investiert man in Kunst und baut Museen, um in Kunst als Kapital zu investieren. Gleichzeitig gibt es doch noch Künstler wie Ai Wei Wei, die politische Kunst machen.
EB: Es ist wirklich interessant. Ich war bei Fan Dian, dem Direktor der nationalen Galerie in Peking. Er hat uns den Architektenwettbewerb vorgestellt, den John Nobel(?)gewonnen hat. Sie bauen ein Museum mit 12000 QM Ausstellungsfläche. Ich habe ihm gesagt, Ihr seid verrückt. Ich frage mich, was das soll? Es ist absolut blöd, solche Museen zu bauen.
JX: Die Schirn in FFA ist zum Beispiel im Vergleich zu Berlin oder Londoner Tate Modern fast so klein wie ein Wohnzimmer. Aber sie machen trotzdem gute Sachen.
EB: Man müsste fast alle Museen in Deutschland zusammen zählen, um 12000 QM Ausstellungsfläche zu bekommen. Die Architektur ist überhaupt nicht für die Kunst zu gebrauchen. Ich finde es interessant und habe vorgeschlagen, eine Gesprächsrunde in Peking zu machen, über solche Fragen. Dort werden westliche Architekten eingeladen; sie bauen was sie wollen.
...sie bauen Erlebnisräume, aber für die Kunst ist es gar nichts. Sie sind stolz drauf, dass so etwas entsteht. Was macht man mit der Kugel? Völlig verrückt.
JL: Manche westliche Architekten wollen ihre Traumarchitektur in China realisieren.
JX: Ihre Botschaft, dass es in der Kunst um den Inhalt als um die Äußerlichkeit geht, ist bei Herrn Fan Dian angekommen?
EB: Jaja, Beim Essen hat er gesagt, dass es hochinteressant sei und man darüber sprechen soll. Eigentlich könnte er es auch wissen. Die Künstler, die er schätzt, sind meistens Maler.
JL: Jaja, chinesische Kunstkritiker, Kunsttheoretiker und Direktoren sind meistens selbst ehemals Künstler. Sie interessieren sich für das, was sie selbst früher gemacht haben. Starke Selbstbezogenheit.
EB: War der Fa auch Künstler?
JL: ja, Fang Dian und Herr Wang von der CAFA. Manche Künstler entwickeln sich im Lauf der Karriere Richtung Kunsttheorie.
JX: Um so wichtiger ist es, denen Beuys zu zeigen, dass nicht nur auf der Leinwand zu malen, Kunst ist. Alles kann Kunst werden.
JX. Wie Sie schon China erlebt haben, was ist aus Ihrer Sicht an Beuys wichtig für China? Seine Freiheitsgedanken, Überwindung von Grenzen, der erweiterte Kunstbegriff? Was ist aktuell an Beuys?
EB: Beuys hat ein anthropologisches Konzept für Menschen. Da kann man anknüpfen, indem man stark politische Kunst entwickelt, die natürlich nicht ungefährlich ist. Kunst soll sich einmischen und nicht im Museum oder der Galerie bleiben, und sie soll in die Mitte der Gesellschaft eingehen. Beuys hat alle kapitalistischen Formen abgelehnt, nicht nur den westlichen Industriekapitalismus, sondern auch den östlichen Staatskapitalismus. China hat einen Staatskapitalismus. Der Staat in China besitzt die Schlüsselindustrie, auch das gesamte Land. Niemand kann dort ein privates Land erwerben, alles ist in der Hand des Staates. Da glaube ich eine große Reibungsfläche zwischen Künstlern, die sich an Beuys orientieren und der Gesellschaft, wie die Gesellschaft gestalten soll. Dies sollte über Ai Weiwei hinaus weitergehen.
JX: Haben Sie Interesse weiterhin mit China zusammen zu arbeiten? War es das erste Mal, dass Sie nach China gegangen waren.
EB: Ja, das war das erste Mal. Man sieht die Umweltproblematik auch in Peking: Der Smog, die verstopften Straßen, der Wahnsinn. Die Autoindustrie, vor allem die deutsche Autoindustrie hat in China viel Geld verdient. Da fehlt noch Verständnis für die Umwelt.
JX: China befindet sich momentan im Goldrausch. Ist Beuys in diesem Kontext eher richtig oder falsch?
EB: Im Grund ist die Vorstellung romantisch. Die Staaten, die lange Zeit durch den Westen dominiert und zurück gedrängt worden sind, haben in anderen Verhältnisse, ärmeren Verhältnis gelebt haben, haben andere politischen Verhältnisse, die dürfen sich kritisch den Westen ansehen und analysieren, wie man zu einer hoch entwickelten Gesellschaft kommt. Auch mit dem Wirtschaftssystem. Sie können daraus lernen, versuchen Fehler zu vermeiden. Das ist wie ein Modellversuch. Aber ich sehe einen totalen Nachvollzug. Man wird in kürzester Zeit reich werden.
JX: In China gibt es inzwischen so viele Milliardäre.
EB. Ja, nicht nur die. Das System lebt davon, dass man endliche Konsumkraft entwickelt. Das wäre die Idee, auch wenn die Leute keine Macht haben. Künstler haben keine Macht und können trotzdem etwas beitragen, als Stimme der Öffentlichkeit um bestimmte Dinge in Gang zu setzen oder zu korrigieren. In Russland ist es ähnlich.
JX: Vielleicht ist Beuys für China und Russland wichtiger als für den Westen?
EB: Für den Westen ist er auch wichtig.
JL: Man hätte die Russische Beuys –Ausstellung gleich original nach China verlegen können.
EB: Es wäre recht gut gewesen. China wäre die zweite Station gewesen. Wenn man vorher einen genauen Zeitplan hätte, hätte man es wirklich geschafft.
JX: Ich hätte noch zweite Fragen. Es gibt inzwischen neue Veröffentlichungen über Beuys Vita. Haben Sie die gelesen?
EB: Ja
JX:Es wurde gesagt, Beuys habe einige Lebensgeschichten erfunden... Es gibt natürlich aus Auswirkungen auf die Authentizität seiner Arbeiten.
EB: Nee, diese Biographien sind nicht besonders gut. Die sagen auch nichts Neues. Das klingt spekulativ und sucht nach etwas, womit man in Deutschland bekannt werden kann, wenn man Verbindungen zum National-Sozialismus beweisen kann. Der Autor ist der Meinung, dass Beuys völkisch und nationalistisch gedacht habe. Das ist absolut Unsinn. Die ganzen Werke von Beuys kommen vom Begreifen, wie entsetzlich die NZ-Ideologie war und sind die Antwort auf Ausschwitz , und es ist unmöglich, diesem Künstler nationalistisches Gedankengut zu unterstellen.
JX: Ähnliches ist auch Günter Grass passiert.
EB: Jaja, er war noch ein junger Mann bei der SS. Es gab schon Diskussionen über seine Biographie, aber sie sind schon erledigt.
JX: Eine andere Frage, es geht um Paradoxie. Beuys war ein antiautoritär und hat alles in Frage gestellt. Aber Beuys selbst ist inzwischen eine große Autorität geworden. Ist es nicht eine Paradoxie?
EB: Ja, aber ein tote Autorität, die keine Macht mehr ausübt. Sie ist ein Gegenstand der Interpretation. Die Autorität ist nur geistig da. Er ist nicht jemand, der Diktatur ausübt und andere zwingen kann, was zu machen, sondern es ist in sich abgeschlossen. Sein Geist ist da. Man muss sich mit seinem Geist auseinandersetzen. Der Geist hat natürlich eine Autorität. Als Künstler sind seine Werke erstaunlich groß und interessant. Sein Denken ist unter den Künstlern des 20. Jahrhunderts einmalig. Dass jemand so viel gedacht hat wie er, ist eine Ausnahmeerscheinung.
JX: Ist es doch eine Ironie, dass er sich damals gegen den Kapitalismus und die Konsumgesellschaft ausgesprochen hat. Deshalb hat er überall signiert, damit Kunstwerke keine Waren werden konnten. Aber seine Werke sind inzwischen auch viel wert. Hat er damit gerechnet?
EB: Ja, er hat das schon gewusst. Er war ein Realist und erkannte, dass es einen Kunstmarkt gab. Aber Beuys ist auf dem Kunstmarkt gar nicht an der Spitze. Andy Warhol ist ungleich teuer. Beuys hat nicht die Stellung wie Andy Warhol.
Die Werke von Andy Warhol sind oft 120 Millon Dollar teuer. Bei Beuys , wenn überhaupt eine Millon Grenze überschreitet wird, ist es schon viel.
JX: Hängt es nicht möglicherweise damit zusammen, dass seine Werke meistens nicht zum Aufhängen da sind? Sie sind keine leichte Muse.
EB: Die meisten großen Werke von ihm befinden sich im Museum. Es gibt nur wenig im Privat-Besitz. In den privaten Sammlungen sind meist Zeichnungen und Malzettel. Mehr kriegt man nicht. Mal ein kleines Objekt. Es ist auch kein Spekulationsgegenstand. Von Warhol gibt es unheimlich viele Bilder, die immer wieder in den Kunstmarkt hinein kommen. Der Kunstmarkt hat es schwer mit Beuys. Selbst wenn man damit spekuliert, klappt es leider nicht so richtig. Originale Beuys Grafiken bekommt man schon für wenig Geld.
JX: Denn eine Studentin hat damals eine Frage gestellt. Bei Beuys gibt es viele Editionen. Sie fragt, warum ist Beuys nicht so teuer wie Andy Warhol. Ich habe festgestellt, es ist schwer, den Chinesen rüber zu bringen, dass Beuys in einer anderen Gesellschaft gelebt hat. In den 70ern und 80ern war es in, Kunstwerke billig zu produzieren, es gehörte auch zur Demokratisierung. Das Motto war: Jeder kann sich Kunstwerke leisten. Bei Andy Warhol war es anders. Für ihn ist das Leben unten den Reichen sein Lebensstil.
EB: Das ist ein anderes Konzept. Beuys hat, was Fluxus-Künstler entwickelt haben, kleine Dinge herzustellen, um den Gedanken des Geistes der Künstlers zu präsentieren, befolgt. Für Beuys sollen sie wenig Geld kosten.
JL: Die tote Autorität Beuys von Ihnen hat mir sehr gut gefallen. Beuys hätte jetzt auch noch leben können. Wie wäre es, wenn er heute noch lebte, wäre er immer noch antiautoritär, oder selbst eine Autorität?
JX: Wo sind die 68er?
EB: Beuys war eine Gegenströmung gegen die 68er. Er hat die Bewegung , den Studentenrevolten in Frage gestellt. Er hat sich gegen die Vereinnahmung des östlichen Ideologie vom Marxismus, Leninismus und Maoismus kritisch gewarnt. Er wollte von der Studentenrevolte abbringen. Ich glaube, Beuys als Person war auch streng. Als Lehrer ist er mit den Studenten sehr streng umgegangen. Bei ihm muss man auch richtig arbeiten.
JX: Er war ein richtiger German im Vergleich zu Andy Warhol, der amerikanische Leichtigkeit hatte.
EB: Den unterschätzt man. Den muss man sich genau anschauen. Ich glaube, es ist nicht umsonst, dass Beuys Warhol interessant fand. Der war der interessanteste Künstler in Amerika. Er hat gesehen, dass Warhol kluger Stratege ist. Für mich ist er ein politischster Künstler.
JX: Andy Warhol? Inwiefern?
EB: Durch das ganze System. Es hat anders ausgesehen, aber letztlich mit Beuys verwandt. Er hat sich selbst erfunden, in einer gleichbleibenden Gestalt mit der Perücke. Jeder weiß, wer der Andy Warhol ist.
JX: Was ist an ihm politisch? Die Mao-Bilder oder die Marylin Monroe Bilder etwa ?
EB: Wenn man die Desaster- Totenbilder sieht, sind das extrem interessante Bilderzeichen, die sich mit der Gesellschaft auseinandersetzen. Wir haben hier ein Bild das heißt > Ambulanter Desaster <. Da ist ein Krankenwagen zu sehen, aus dem ein Patient tot raushängt, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Das ist eine erschütternde Metapher für den „American Way of Life“, frohe Botschaft, dass man in Amerika sein Glück findet.
JX: Wenn Sie das so betrachten, dann ist Jeff Koons auch ein politischer Künstler. Der hält der Konsumgesellschaft den Spiegel vor.
EB: Am Anfang dachte ich mir das auch. Aber inzwischen habe ich meine Zweifel. Warhol ist intelligenter.
JX: Dann bin ich heute ein bisschen verwirrt. Beuys ist ein politischer Künstler, aber Andy Warhol auch...Wow, ich habe wieder etwas dazu gelernt. Dann würde ich sagen, jeder Künstler ist ein politischer Künstler.
EB: In gewisser Weise schon. Weil die Kunst Raum behauptet, der auf jeden Fall Raum der Freiheit ist. Insofern ist eine Form der Vereinnahmung, wie es die Politik macht. Menschen für ein Programm zu gewinnen, ist politisch. Kunst ist individuell, ist eine Behauptung der Einzelnen. Eine Einzelne behauptet ihre Freiheit.